Brigitte Stadler

 
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Brigitte Stadler ist seit langer Zeit mit Sciaredo vertraut. Sie kannte das Haus schon, als es noch im Dornröschenschlaf  lag. Im Zug der Renovation (1998-2000)  hat sie zusammen mit dem Verein Sciaredo Georgette Kleins Gartenanlage aus der Überwucherung zurückgeholt und so weit als möglich  rekonstruiert.
Die Natur ist indes nicht nur ihre persönliche Passion, prägt nicht nur ihr ökologisches Engagement, sie ist auch die Basis ihrer künstlerischen Ausdrucksweise. Ihre Werke „Blumenbilder“ zu nennen, wäre allerdings verfehlt, obwohl auf ihrem Arbeitstisch – sei es in Meilen am Zürichsee oder in Barbengo -  durchaus welke oder getrocknete Taglilien, Dalien, Wurzelwerke und mehr zu entdecken sind.
 
Es war 2008, dass Brigitte Stadler erstmals mit einem fokussiert künstlerischen Projekt in Sciaredo weilte. Der von Bäumen umsäumte Garten lässt ein ausserordentliches Gefühl von Natur und Raum aufkommen. Flache Malerei hat da gleichsam keinen Rückhalt. Und so entstanden die ersten „Radici“ – Arbeiten mit Wurzelmotiven. Da für Gartenamateure ausreissen von wuchernden Pflanzen zum Alltag gehört, sind Wurzelballen entsprechend etwas alltägliches. Brigitte Stadler trocknete davon, betrachtete die nach oben und nach unten strebenden Netzwerke mit den knotigen Schaltzentralen und übertrug sie als nunmehr virtuelles Pflanzenfeld auf Papier. Mit verdünnter roter Acryl-Farbe. Dann griff sie zum Messer und schnitt die Zwischenräume weg, schuf eine Art Gitterstruktur, die Raum einbrachte, Licht und Schatten erscheinen liess, Farbe und Transparenz mit dem Weiss des Papiers in Verbindung brachte.
 
In der Kunst unserer Zeit haben die „Cut outs“ neue Bedeutung erhalten – was einst als „Scherenschnitt“ belächelt wurde, ist mit internationalen Künstler wie Felix Droese oder Kara Walker, aber auch in der Schweiz, mit Lisa Enderli, Ursula Rutishauser, Franticek Klossner und anderen in die Museen zurückgekehrt. Brigitte Stadlers Arbeiten gehören in diesen Kontext, finden in der Kombination von Malerei und Schnitt ihre Eigenart.
 
Die Entwicklung ging weiter und fand bei ihrem Aufenthalt in Sciaredo 2012 eine neue Dimension. Stand das monochrome Rot bisher unaufgefächert für Lebenskraft und überliess die Hauptrolle den linearen Rhythmen, tritt nach vorbereitenden Collagen nun auch in den Schnitten eine feine Vielfarbigkeit ins Zentrum, die sich die Aufmerksamkeit mit dem Linearen und dem Räumlichen teilt. Parallel dazu tritt das Abbildhafte des Wurzelwerkes und der Pflanzenstängel in den Hintergrund und die Zahl der Lineaturen wird reduziert. Optisch steht jetzt ein stark abstrahiertes Netzwerk aus Natur-Versatzstücken im Zentrum. Damit weitet sich das Feld  möglicher Interpretationen, ohne jedoch den Hintergrund des Naturerlebnisses, der Faszination des Wachsens und Blühens, des räumlichen Spiels von Licht und Schatten auszuklammern.
 
Brigitte Stadlers nächster Aufenthalt in Sciaredo (Januar 2013) ist von einer Doppelaufgabe geprägt; im Auftrag der Stiftung plant und beaufsichtigt die Künstlerin die wagemutige Öffnung des Baumbestandes nach Süden, nach Italien, die der engagierte Gärtner von Sciaredo, Stefano Rickenbacher, mit der Motorsäge realisiert. Vielleicht ist es eine Reaktion auf den sinnvollen, aber gleichermassen "brutalen"  Eingriff in die Natur, der vor ihren Augen und mit vibrierendem Lärm geschieht, dass Brigitte Stadler drinnen im Atelier vom Vorjahr hinterlassene, rund geformte und Schutz bietende Vogel-Nester mit intensiven Farben und gestischer Kraft auf Papier zeichnet. Erst dann kann sie loslassen und die von den Vögeln geschickt verwobenen Baumaterialien gleichsam auflösen, frei geben und in feinste Papierschnitte einbringen.                  
 
(azw 11_2012/03_2013)